Gesamteinschätzung

Hauptaspekte

  • Am Beginn eines wirksamen Schmerzmanagements steht eine umfassende klinische Beurteilung.1
  • Eine detaillierte Anamnese, die körperliche Untersuchung sowie die Auswertung einer vom Patienten berichteten Schmerzmessung sind für die genaue Beurteilung von entscheidender Bedeutung.2

Eine umfassende klinische Beurteilung von Patienten mit chronischen Schmerzen umfasst eine gründliche Anamnese (einschließlich einer klinischen Befragung des Patienten zu seinen aktuellen Schmerzen, der allgemeinen Krankengeschichte, der Behandlungsanamnese und den psychosozialen Faktoren) und die Einschätzung der Schmerzen auf Basis einer körperlichen Untersuchung sowie anhand von Patientenangaben im Rahmen von Schmerzmessungstools.1, 2 Ärzte sollten die „ganze Person“ und nicht nur den Schmerz beurteilen.1, 2 Die Ergebnisse dieser Bewertungen können das Vorhandensein sowie die Schwere der Symptome und Funktionsstörungen klären, einen Fingerzeig in Richtung Diagnose geben und das Entwerfen eines Managementplans unterstützen. Es kann sich auch herausstellen, dass weitere Tests erforderlich sind.1

Anamnese

Eine detaillierte Anamnese ist nötig, um alle pathologischen und psychologischen Faktoren aufzudecken, die zu den Schmerzen eines Patienten beitragen können.3 Eine effektive Beurteilung der Anamnese berücksichtigt die mehrdimensionale Natur chronischer Schmerzen und zieht nicht nur Informationen über die Schmerzen selbst, sondern auch alle damit verbundenen Komorbiditäten, früheren und aktuellen Behandlungen sowie die Familienanamnese heran.3,4

Schmerzgeschichte

Zur Beurteilung der aktuellen Krankheit eines Patienten sollten Fragen zu Ort, Qualität, Intensität, Beginn, Häufigkeit und Verlauf der Schmerzen sowie zu sensorischen und affektiven Komponenten, verstärkenden und entlastenden Faktoren und allen zusätzlichen Symptomen wie motorischen, sensorischen oder autonomen Veränderungen gestellt werden.3,4

Allgemeine Krankengeschichte

Neben der Anamnese aktueller Krankheiten gehört zu einer umfassenden Schmerzbeurteilung auch das Einholen von Informationen zur Familienanamnese, zu Komorbiditäten, zur Krankengeschichte, zu bestehenden Allergien, zum sozialen Hintergrund (einschließlich Substanzgebrauch oder -missbrauch), zu früheren diagnostischen Tests sowie zu vorangegangenen und aktuellen Behandlungen.4

Andere Krankheiten können die Schmerzen und somit die Wahl der Medikamente beeinflussen. Um Wechselwirkungen zwischen den Arzneien und Nebenwirkungen verschriebener Arzneimittel zu vermeiden, sollte eine vollständige Liste aktueller und früherer Medikamente erstellt werden. Das Verständnis der Effektivität vorangegangener pharmakologischer und chirurgischer Interventionen kann Klarheit darüber schaffen, welche Behandlungen künftig am besten geeignet sind.3

Psychosozialer Hintergrund

Die Beurteilung des psychosozialen Hintergrunds eines Patienten umfasst Fragen zum Vorhandensein psychischer Symptome (wie Angstzuständen, Depressionen, Wut) oder psychiatrischer Störungen sowie zu Wesensmerkmalen, der persönlichen Lage und Bewältigungsstrategien.4 Dies ist wichtig, da negative psychosoziale Faktoren (z. B. Stress, Trauma) Schmerzen verschlimmern und einen Behandlungserfolg hinsichtlich der Schmerzen beeinträchtigen können. Positive Aspekte hingegen (z. B. eine aktive Bewältigungsfähigkeit) können diese Dinge verbessern.1

Die Auswirkungen chronischer Schmerzen auf die Alltagsaktivitäten, die Stimmung, den Schlaf, das Verhalten und die Beziehungen des Patienten sollten gründlich untersucht werden.2, 4 Als Hilfsmittel für die Patientenbefragung kann man Tools wie das Akronym ACT-UP verwenden (Activity, Coping, Think, Upset, People’s responses [Aktivität, Bewältigung, Denken, Ärger, Reaktionen der Menschen]):2

  1. Activity (Aktivitäten): Wie wirken sich Ihre Schmerzen auf Ihr Leben aus? (D. h. Schlaf, Appetit, körperliche Aktivitäten und Beziehungen.)
  2. Coping (Bewältigung): Wie gehen Sie mit Ihren Schmerzen um? (Was verbessert/verschlechtert sie?)
  3. Think (Denken): Denken Sie, Ihr Schmerz wird jemals besser werden?
  4. Upset (Ärger): Fühlen Sie sich besorgt (ängstlich) oder depressiv (niedergeschlagen, traurig)?
  5. People (Menschen): Wie reagieren Menschen, wenn Sie Schmerzen haben?

Schmerzmessung

Körperliche Untersuchung

Die körperliche Untersuchung des Schmerzes sollte eine adäquate neurologische und muskuloskelettale Evaluierung beinhalten.4 Abhängig vom klinischen Profil können Ärzte auch interventionelle diagnostische Verfahren anwenden (z. B. selektive Nervenwurzelblockade, mediale Astblockade, Facettengelenkspritze, Iliosakralgelenkspritze oder provokative Diskographie).4

Instrumente zur Schmerzmessung auf Basis von Patientenberichten

Von Patienten berichtete Schmerzmessungen sind zu einem sehr wichtigen Teil der Beurteilung chronischer Schmerzen geworden.2 Die am häufigsten eingesetzten eindimensionalen, von Patienten berichteten Messungen der Schmerzintensität sind die numerische Bewertungsskala (numerical rating scale, NRS) und die verbale Bewertungsskala (verbal rating scale, VRS).2 Die NRS lässt die Patienten ihre typischen Schmerzen auf einer Skala von 0 (keine Schmerzen) bis 10 (schlimmste Schmerzen) bewerten. Die VRS verwendet verbale Deskriptoren (z. B. leicht, mittelschwer, schwer).2

Diese eindimensionalen Tools berücksichtigen jedoch keine kontextbezogenen Details wie den Ort des Schmerzes oder die Umstände, unter denen er auftritt.2 Es können Schmerztagebücher verwendet werden, um genauere Informationen über Patientenerfahrungen zu erhalten, die auf diese Weise in Echtzeit und nicht erst später berichtet werden.2

Quellenangaben
  1. Clauw DJ, et al. Postgrad Med. 2019;131(3):185–98.
  2. Dansie EJ & Turk DC. Br J Anaesth. 2013;111(1):19–25.
  3. Gupta M. Indian J Pain. 2014;27:47–8.
  4. American Society of Anesthesiologists. Anesthesiology. 2010;112:810–33.

Schmerzintensität vs. Funktionalität

Zwar betrachtet man die Intensität oft als vorrangigen Maßstab für die Auswirkungen von Schmerz, die körperliche Funktion ist jedoch ein wichtiger Indikator für die Krankheitseffekte auf das tägliche Leben betroffener Menschen.1 Es kann eine Herausforderung sein, die Schwierigkeiten von chronischen Schmerzpatienten beim Ausführen alltäglicher Aufgaben zu verstehen. Deren Ziele sind individuell und gehen nicht unbedingt konform mit klinischen Standard-Outcome-Bewertungen.1, 2 Die meisten Patienten empfinden eine Behinderung bei täglichen Aktivitäten als gravierender als die Schmerzen selbst. In einer Studie mit Patienten mit chronischen Schmerzen im unteren Rückenbereich setzten sich 76 % von ihnen Ziele in Bezug auf die körperliche Funktionsfähigkeit.2 Ärzte sollten sich einen kooperativeren Ansatz gegenüber ihren Patienten überlegen und die Behandlung an deren Präferenzen ausrichten.2

Die CHANGE PAIN®-Skala ist ein innovatives Tool zur Schmerzbeurteilung. Sie soll Ärzten und Patienten dabei helfen, individuelle Behandlungsziele festzulegen und dabei in den Erwartungen realistisch zu bleiben. Ein weiterer einfacher Ansatz angesichts der Auswirkungen von Schmerzen auf einen Betroffenen besteht darin, ihm Fragen zu stellen, zum Beispiel „Bewältigen Sie das?“. So wird die Diskussion über die Schmerzintensität hinaus angeregt und man kann ganzheitlichere Aspekte im Leben eines Patienten berücksichtigen. Weitere Informationen zum Messen der Funktionalität finden Sie, wenn Sie hier klicken.

Quellenangaben
  1. Oude Voshaar MAH, et al. Qual Life Res. 2019;28:187–97.
  2. Gardner et al. Patient Education and Counseling 98 (2015) 1035–8.