Viele chronische Erkrankungen sind schwierig zu behandeln. Hier konzentrieren wir uns auf acht wichtige Schmerzzustände mit einem hohen ungedeckten Bedürfnis bei Patienten und/oder medizinischen Fachkräften.

Unser Ziel ist es ausführliche Informationen über diese Erkrankungen zur Verfügung zu stellen - vom Krankheitsverständnis bis hin zu Behandlungsansätzen.

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Periphere neuropathische Schmerzen

 

Periphere neuropathische Schmerzen (PNS) sind ein besonders belastendes chronisches Schmerzsyndrom. Es kann sich nach einer Läsion oder Krankheit entwickeln, die das periphere somatosensorische Nervensystem betrifft, oder von Medikamenten und anderen Faktoren ausgelöst werden.1,2 Die Ursachen von PNS sind vielfältig. Sie können danach klassifiziert werden, ob die Nervenschäden auf einen systemischen Prozess zurückzuführen sind, der beispielsweise durch Krankheiten, Toxine oder Medikamente hervorgerufen wird, oder auf eine lokale Nebenwirkung von Trauma, Krebs oder einer Operation.1

 

Fakten im Überblick

  • PNS-Erkrankungen sind weit verbreitet und machen etwa 40 % aller Fälle von chronischen Schmerzen aus.3
  • Risikofaktoren für PNS hängen von Vorerkrankungen oder betroffenen Nerven ab.4
  • Die häufigste Art der PNS-Erkrankung ist die schmerzhafte diabetische periphere Neuropathie, von der 60 % bis 70 % der Diabetiker betroffen sind.4
  • Zu PNS kann es kommen, wenn eine Läsion, eine Krankheit oder ein anderer Auslöser (z. B. eine Chemotherapie) dazu führt, dass die Neuronen eines peripheren Nervs abnormal empfindlich werden und mit Schmerz auf Reize reagieren, die normalerweise nicht weh tun.1,5
  • Diagnose-Tools können Ärzten bei der Beurteilung und Behandlung von PNS helfen, beispielsweise Screening-Instrumente/Fragebögen. Außerdem wird in der körperlichen Untersuchung nach Veränderungen in der Schmerzempfindlichkeit oder -wahrnehmung gesucht.6–8

 

 

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Epidemiologie

Chronische Schmerzen mit neuropathischen Kennzeichen betreffen schätzungsweise 7 % bis 10 % der Gesamtbevölkerung.6 Für PNS gibt es vielfältige Ursachen. Es ist wahrscheinlich, dass die Inzidenz aufgrund der alternden Weltbevölkerung, der Zunahme von Diabetes mellitus und des verbesserten Überlebens bei Krebs weiter steigen wird.6 In einer systematischen Überprüfung epidemiologischer Studien aus dem Jahr 2014 wurde die globale Inzidenz von zwei wichtigen PNS-Erkrankungen – postherpetischer Neuralgie und diabetischer peripherer Neuropathie – auf 3,9 bis 42,0 pro 100.000 Personenjahre bzw. 15,3 bis 72,3 pro 100.000 Personenjahre geschätzt.9

Chronische neuropathische Schmerzen treten häufiger bei Frauen (8,0 % vs. 5,7 % bei Männern) und bei Patienten über 50 Jahre (8,9 % vs. 5,6 % bei Patienten unter 50 Jahren) auf. Am häufigsten betreffen sie den unteren Rücken und die unteren Gliedmaßen, den Nacken und die oberen Gliedmaßen.6

 

Risikofaktoren

Es gibt verschiedene Arten von peripherer Neuropathie und die jeweiligen Risikofaktoren hängen von Vorerkrankungen oder den betroffenen Nerven ab. Periphere neuropathische Schmerzen können entweder erblich bedingt sein oder durch Verletzungen oder Krankheiten entstehen.4 Die häufigste Form tritt als Komplikation von Diabetes auf und betrifft 60 % bis 70 % der Diabetespatienten.4

 

Ursachen

Neuropathische Schmerzsyndrome sind chronisch und die direkte Folge einer Läsion oder einer Erkrankung jener Teile des Nervensystems, die in der Regel Schmerzen signalisieren.5 Sie umfassen eine Reihe heterogener Zustände, die durch eine Vorerkrankung, bestimmte Medikamente oder Traumata hervorgerufen werden können. In manchen Fällen kann keine Ursache gefunden werden. Dies ist als idiopathische Neuropathie bekannt.11

 

Merkmale und Symptome

Anzeichen und Symptome von PNS können im Verlauf der Krankheit und abhängig von der Stimmung oder eventuellen Angstzuständen des Patienten variieren.12 Neuralgien weisen charakteristische episodische Paroxysmen auf, wenngleich andere Schmerzen bei der Neuropathie entweder isoliert oder als immer intensiver werdende Attacken auftreten können, zusätzlich zu einem anhaltenden Schmerz.12

 

 

Patienten können auch stimulusabhängige Schmerzen haben, etwa Allodynie (eine schmerzhafte Reaktion auf normalerweise nicht gewebeschädliche Reize) oder Hyperalgesie (erhöhte Schmerzempfindlichkeit).12

Pathophysiologie

Die Entwicklung neuropathischer Schmerzen ist multifaktoriell. Die Mechanismen sind nicht krankheitsabhängig. Unterschiedlichen PNS-Zuständen kann derselbe Mechanismus zugrunde liegen und ein und dasselbe PNS-Symptom kann durch unterschiedliche Mechanismen verursacht werden.13

Typischerweise wird neuropathischer Schmerz durch eine Nervenläsion afferenter Bahnen ausgelöst.13 Unter normalen Umständen findet die Aktivierung von nichtmyelinisierten (C-Fasern) und dünnmyelinisierten (Aδ-Fasern) primären afferenten Neuronen nur als Reaktion auf Gewebeschäden statt. Nach einer peripheren Nervenläsion erfolgt die Aktivität dieser Neuronen jedoch spontan und offenkundig sowohl bei verletzten als auch bei benachbarten nicht verletzten Neuronen.5,13 Man nimmt an, dass eine erhöhte Expression von Natriumkanälen in diesen Fasern die Aktionspotenzialschwelle senkt, wodurch sie als Reaktion auf nicht gewebeschädliche Reize feuern.13 Eine Nervenverletzung führt auch zu einer erhöhten Erregbarkeit der Membran nozizeptiver Nerven und erhöht die Expression verschiedener Rezeptorproteine. Von diesen nimmt man an, dass sie mit abnormalen Reaktionen auf thermische und mechanische Reize assoziiert sind.13

Allodynie und Hyperalgesie im Bereich der peripheren Nervenläsion werden durch eine zentrale Sensibilisierung verursacht. Das Zentralnervensystem ist daran beteiligt. Das anhaltende Feuern der peripheren Nervenfasern führt zur Freisetzung von exzitatorischen Stoffen im Hinterhorn des Rückenmarks, die Veränderungen in Neuronen zweiter Ordnung induzieren, eine Übererregbarkeit verursachen und die Aktivierungsschwelle senken.13

   

Diagnose

Screening asymptomatischer Patienten

Die Identifizierung von PNS-Erkrankungen in Patientenuntergruppen, in denen dieses Leiden weit verbreitet ist (z. B. diabetische periphere Neuropathie bei Personen mit Diabetes), umfasst ein regelmäßiges Screening und körperliche Untersuchungen.7

Zu den Screening-Tools für die Praxis gehören Fragebögen zum Testen auf PNS-Symptome wie das NPSI (Neuropathic Pain Symptom Inventory), die vier Fragen zu neuropathischen Schmerzen (DN4; Douleur Neuropathique en 4 Questions) und die Leeds-Bewertung neuropathischer Symptome und Anzeichen (LANSS), das Screening-Tool für lokalisierte neuropathische Schmerzen (LNP) sowie der painDETECT-Fragebogen, mit dem neuropathische Komponenten bei Patienten mit Rückenschmerzen identifiziert werden können.6,8,15

Die körperliche Untersuchung auf PNS in der hausärztlichen Praxis umfasst üblicherweise die Registrierung der Wahrnehmung von leichten Berührungen mit einem Monofilament (um Allodynie festzustellen) und der Wahrnehmung von oberflächlichen Schmerzen durch einen Nadelstich (was Auskunft über Hyperalgesie gibt) oder das Testen von Reflexen der tiefen Sehnen des Sprunggelenks (fehlende Reflexe können auf periphere Neuropathie hindeuten).6,7,16

In den folgenden Videos finden Sie praktische Anleitungen zur Durchführung einer körperlichen Untersuchung:

 

Beurteilung symptomatischer Patienten

Wenn ein Patient aus unbekannten Gründen Schmerzen hat, können – unter Berücksichtigung von dessen Anatomie und Anamnese – Screening-Fragebögen sowie die oben beschriebenen körperlichen Untersuchungen die Diagnose von PNS erleichtern.

Das Screening-Tool für lokalisierte Nervenschmerzen wurde von der Neuropathic Pain Special Interest Group der International Association for the Study of Pain zur einfachen und zuverlässigen Diagnose von lokalisierten Nervenschmerzen entwickelt.8 Es besteht aus vier Schritten: Beurteilung der Schmerzanamnese des Patienten, Beurteilung der Schmerzverteilung, sensorische Untersuchung (innerhalb und außerhalb des Schmerzbereichs) und Beurteilung der Größe des Schmerzbereichs.

 

Die Rolle verschiedener Spezialisten bei der Diagnose

An der Diagnose und Behandlung von PNS-Erkrankungen sind verschiedene Angehörige der Gesundheitsberufe beteiligt. Allgemeinmediziner gelten als „Gatekeeper“ des Gesundheitssystems und diagnostizieren die meisten PNS-Fälle.8 Wenn ein Hausarzt eine PNS-Diagnose stellt, kann die Behandlung eingeleitet werden. Bei diagnostischen Unsicherheiten oder wenn die Behandlung nicht ausreicht, werden die Patienten im Allgemeinen an eine Schmerzklinik überwiesen. Dort werden sie zur besseren Behandlung der neuropathischen Schmerzen einem Schmerzspezialisten, einem Neurologen oder Neurochirurgen, einem Rehabilitationsarzt und/oder einem Physiotherapeuten vorgestellt.

 

  

Management

Leitlinien und Empfehlungen

Die Behandlung von PNS hängt von der Art der Nervenschädigung, den Symptomen und dem Ort der Schmerzen ab. Gegenwärtig angewandte Pharmakotherapien zielen auf die Mechanismen ab, die neuropathischen Schmerzen zugrunde liegen. Doch diese sind komplex, überlappen einander oft und sind noch unvollständig verstanden.13,17 Der allgemeine Ansatz ist ein schrittweiser Prozess, um herauszufinden, welche Arzneimittel oder Arzneimittelkombinationen die größte Schmerzlinderung mit den geringsten Nebenwirkungen bieten.13 Das Hauptziel des pharmakotherapeutischen Managements von PNS ist eine klinisch relevante Schmerzreduktion: Eine 30%ige Schmerzreduktion wird als mäßige und eine 50%ige Schmerzreduktion als wesentliche Linderung definiert.17

Durch das korrekte Verständnis können möglicherweise manche Patienten ihren Bedarf an Medikamenten reduzieren oder sogar ganz auf sie verzichten. Ein adäquates Management ermöglicht zudem eine funktionelle Wiederherstellung, solange die Nervenzelle selbst nicht abgestorben ist.18

Klicken Sie auf die folgenden Links, um die aktuellen Behandlungsrichtlinien einzusehen:

 

Pharmakologische Therapien

Das Verständnis der Mechanismen, die für die Pathogenese neuropathischer Schmerzen beim Einzelnen verantwortlich sind, kann einen gezielten Behandlungsansatz ermöglichen.19 Die folgende Tabelle beschreibt die verschiedenen verfügbaren Behandlungen für neuropathische Schmerzen und ihre Wirkmechanismen.13,19 Innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft besteht allerdings Unsicherheit hinsichtlich der zentralen Schmerz erzeugenden Mechanismen von PNS und ihrer Auswirkungen auf die Behandlung. 20

 

Ungedeckte medizinische Bedürfnisse

Trotz des fortschreitenden Verständnisses der komplexen Neurobiologie von Schmerzen ist das klinische Management neuropathischer Schmerzen oft unzureichend. In mehreren Studien werden ineffektive Managementansätze und Verschreibungsmuster angeführt.21 Es mangelt auch an neuartigen Medikamenten und Behandlungen; mehrere vielversprechende Medikamente sind in der späten Entwicklungsphase gescheitert.2

Ineffektive Behandlungen von neuropathischen Schmerzen können an einer unzureichenden Diagnose liegen. So ergab zum Beispiel eine britische Studie, dass 79 % der Patienten mehr als ein Jahr lang Schmerzen hatten, bevor sie an eine Schmerzklinik überwiesen wurden.21  Eine verzögerte Diagnose oder eine Fehlbehandlung können auch zu verhaltensbedingten und psychiatrischen Komorbiditäten wie Depressionen, Angstzuständen, Schlafstörungen und Drogenmissbrauch führen.21

Ressourcen

 

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  • Quellen

    1. Colvin LA & Dougherty PM. Br J Anaesth. 2015;114:361–3.

    2. Baron R et al. Pain. 2017;158:261–72.

    3. Sicras-Mainar A et al. J Comp Eff Res. 2018;7(7):615–25.

    4. The Foundation for Peripheral Neuropathy. What is peripheral neuropathy? 2016. Available at: https://www.foundationforpn.org/what-is-peripheral-neuropathy/types-risk-factors. Accessed May 2020.

    5. Baron R. Nat Clin Pract Neurol. 2006;2:95–106.

    6. Colloca L et al. Nat Rev Dis Primers. 2017;3:17002.

    7. Watson JC & Dyck PJ. Mayo Clin Proc. 2015;90:940–51.

    8. Mick G et al. Curr Med Res Opin. 2014;30:1357–66.

    9. van Hecke O et al. Pain. 2014;155:654–62.

    10. Attal N et al. Lancet Neurol. 2018;17:456–66.

    11. National Health Service. Peripheral neuropathy causes. 2019. Available at: https://www.nhs.uk/conditions/peripheral-neuropathy/causes/. Accessed May 2020.

    12. Marchettini P et al. Curr Neuropharmacol. 2006;4(3):175–81.

    13. Baron R et al. Lancet Neurol. 2010;9:807‒19.

    14. Latremoliere A & Woolf CJ. J Pain. 2009;10(9):895–926.

    15. Freynhagen R et al. Curr Med Res Opin. 2006;22(10):1911–20.

    16. Walker HK. Chapter 72: Deep tendon reflexes. In: Walker HK, Hall WD, Hurst JW, editors. Clinical Methods: The History, Physical, and Laboratory Examinations. 3rd edition. Boston: Butterworths; 1990. Available at: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK396/. Accessed May 2020.

    17. Brooks KG & Kessler TL. Treatments for neuropathic pain. In: Clinical Pharmacist. 2017. Available at: https://www.pharmaceutical-journal.com/research/review-article/treatments-for-neuropathic-pain/20203641.article. Accessed May 2020.

    18. National Institute of Neurological Disorders and Stroke. Peripheral neuropathy fact sheet. 2020. Available at: https://www.ninds.nih.gov/Disorders/Patient-Caregiver-Education/Fact-Sheets/Peripheral-Neuropathy-Fact-Sheet. Accessed May 2020.

    19. Bannister K et al. Annu Rev Pharmacol Toxicol. 2020;60:257–74.

    20. Meacham K et al. Curr Pain Headache Rep. 2017;21:28.

    21. Harden N & Cohen M. J Pain Symptom Manage. 2003;25(Suppl 5):S12–17.