Management chronischer Schmerzen

Hauptaspekte

  • Ein modernes Management chronischer Schmerzen bevorzugt einen praktischen biopsychosozialen Ansatz. Im Gegensatz zu einem biomedizinischen Ansatz, der sich ausschließlich auf die Pathophysiologie konzentriert, berücksichtigt dieser die Neurobiologie sowie psychosoziale Risikofaktoren und umfasst eine breite Palette von pharmakologischen und nichtpharmakologischen Behandlungsoptionen.1
  • Um auf die Bedürfnisse der Patienten bestmöglich einzugehen und ihre Schmerzen effektiv zu behandeln, ist eine gute Kommunikation innerhalb eines interdisziplinären Teams unabdingbar.2
  • Aufgrund der multimechanistischen Natur chronischer Schmerzen kann ein multimodaler Behandlungsplan, der Therapien mit verschiedenen Wirkmechanismen kombiniert, die Patientenergebnisse verbessern.3

Laut dem britischen National Institute for Health and Care Excellence (NICE) sollte der Schwerpunkt der Behandlung chronischer Schmerzen auf der Verringerung der Schmerzen einer Person liegen, um deren Lebensqualität zu verbessern.4 Die Schmerzbehandlung kann einem multimodalen Ansatz folgen, bei dem sowohl pharmakologische als auch nichtpharmakologische Mittel dynamisch verwendet werden. Hierbei sollte Folgendes berücksichtigt werden:5

  • Die Intensität des Schmerzes
  • Die Pathophysiologie des Schmerzes
  • Die Komplexität der Symptome
  • Das Vorhandensein von Komorbiditäten
  • Der soziale Kontext
  • Der Zeitpunkt der Krankheit
Quellenangaben
  1. Clauw DJ et al. Postgrad Med. 2019;131(3):185–98.
  2. Varrassi G et al. Curr Med Res Opin. 2010;26:1231–45.
  3. Pergolizzi J et al. Curr Med Res Opin. 2013;29(9):1127–35.
  4. National Institute for Health and Care Excellence (NICE). Key therapeutic topic [KTT21] Medicines optimisation in chronic pain. Updated September 2019. Available at: https://www.nice.org.uk/advice/ktt21. Accessed June 2020.
  5. Cuomo A et al. J Pain Res. 2019;12:711–14.

Implementierung eines praktischen biopsychosozialen Ansatzes

Zur Behandlung chronischer Schmerzen kann man einem praktischen biopsychosozialen Ansatz folgen. Neben dem Beibringen von Selbstmanagementtechniken und psychologischer/rehabilitativer Unterstützung umfasst dieser eine breite Palette an pharmakologischen und nichtpharmakologischen Therapien.1 Ein solches Modell zu übernehmen kann zu einem multimodaleren und multidisziplinäreren Vorgehen in der Behandlung chronischer Schmerzen führen. Dazu gehören eine Reihe von Behandlungsstrategien, die darauf abzielen, Schmerzen zu lindern, Behinderungen zu minimieren und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern.1

Quellenangaben
  1. Clauw DJ et al. Postgrad Med. 2019;131(3):185–98.

Multimodale Therapie

Schmerz ist oft multimechanistisch. Seine Behandlung erfordert daher einen multimodalen Ansatz, bei dem verschiedene nichtpharmakologische Methoden sowie Kombinationen von pharmakologischen Therapien mit unterschiedlichen analgetischen Wirkmechanismen zum Einsatz kommen.1 Dies zeigt sich insbesondere in Fällen, in denen sowohl nozizeptive als auch neuropathische Komponenten im Spiel sind, die unterschiedlich auf verschiedene Arten von Analgetika oder Therapien ansprechen (z. B. nichtpharmakologische Maßnahmen wie Physiotherapie, Psychotherapie und Reha-Techniken).1

Das übergreifende Management chronischer Schmerzen erfordert ein interdisziplinäres Kernteam, bestehend aus Angehörigen der Gesundheitsberufe.2 Der Hausarzt fungiert als Pförtner („Gatekeeper“) und Koordinator. Er spielt eine zentrale Rolle in der langfristigen Managementstrategie und überweist den Patienten bei Bedarf zur weiteren Behandlung.2 Die Kommunikation innerhalb des Teams sowie zwischen diesem und dem Hausarzt ist äußerst wichtig. Üblicherweise besteht das interdisziplinäre Team aus einem Hausarzt, einem Anästhesisten, einem Rheumatologen, einem Neurologen und einem Psychiater oder Psychologen (Abbildung 1).2 Je nach den Bedürfnissen des einzelnen Patienten können aber auch andere Spezialisten hinzugezogen werden. Um die Ergebnisse zu verbessern, sollte das interdisziplinäre Team eine multimodale Therapie in Betracht ziehen.

Abbildung 1: Das interdisziplinäre Kernteam für das Management chronischer Schmerzen

Adaptiert nach Pergolizzi J, et al. Curr Med Res Opin. 2013;29(9):1127–35

 

Quellenangaben
  1. Varrassi G et al. Curr Med Res Opin. 2010;26:1231–45.
  2. Pergolizzi J et al. Curr Med Res Opin. 2013;29(9):1127–35.

Nichtpharmakologisches Schmerzmanagement

Nichtpharmakologische Interventionen zur Schmerzbehandlung konzentrieren sich in erster Linie auf die Schmerzlinderung und können die pharmakologische Therapie ergänzen oder ersetzen.1 Sie können antinozizeptive Outputs ankurbeln, mit dem Ziel, nozizeptive Mechanismen zu hemmen und die körpereigenen Schmerzkontrollmechanismen zu stärken.1 Man kann nichtpharmakologische Behandlungsoptionen in vier Kategorien unterteilen:1

  • Psychologische Interventionen wie Ablenkung, Stressbewältigung, Hypnose und kognitive Verhaltensinterventionen
  • Akupunktur und Akupressur
  • Physiotherapien wie Massage, Wärme-/Kältetherapie, Osteopathie und Chiropraktik
  • Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS).
Quellenangaben
  1. Pak SC et al. Evid Based Complement Alternat Med. 2015;2015:873039.

 

Pharmakologische Behandlungen

Die multifaktorielle Natur chronischer Schmerzen erfordert ein wirksames Schmerzmanagement, das bei der Wahl einer gezielten Behandlung die zugrunde liegenden Schmerzmechanismen berücksichtigt.1 Pharmakologische Behandlungen sollten versuchen, nichtpharmakologische Therapien zu ergänzen, nicht zu ersetzen.1 Dies ist von besonderer Bedeutung bei Zuständen mit einer neuropathischen Komponente, da deren Vorhandensein aufgrund einer Sensibilisierung mit einer erhöhten Schwere und Dauer der Schmerzen verbunden ist.1

Im Jahr 2019 veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) aktualisierte Leitlinien für die pharmakologische und radiotherapeutische Behandlung von Schmerzen bei Krebs.2 Sie heben die Bedeutung einer sorgfältigen Schmerzbeurteilung sowie einer Differenzialdiagnose hinsichtlich der Art des Schmerzes und seines Ursprungsorts hervor.2 Man sollte allerdings beachten, dass dies nur Leitlinien für Schmerzen sind, die durch die direkte Wirkung von Krebs verursacht werden, und dass bei der Versorgung mit einem personenzentrierten und integrierten Ansatz viele Faktoren zu berücksichtigen sind.2

Für die Behandlung chronischer Schmerzen stehen verschiedene Optionen zur Verfügung. Diese können folgendermaßen klassifiziert werden: Nichtopioide und Co-Analgetika (Adjuvantien), topische Analgetika, Opioide und atypische Opioide.

Quellenangaben
  1. Varrassi G et al. Curr Med Res Opin. 2010;26:1231–45.
  2. World Health Organization (WHO). WHO guidelines for the pharmacological and radiotherapeutic management of cancer pain in adults and adolescents. January 2019. Available at: https://www.who.int/ncds/management/palliative-care/cancer-pain-guidelines/en/. Accessed June 2020.

Nichtopioid-Analgetika

Nichtopioide umfassen Paracetamol/Acetaminophen und nichtsteroidale entzündungshemmende Medikamente (NSAR).1, 2 Paracetamol/Acetaminophen wird bei älteren Menschen häufig bevorzugt, obwohl hinsichtlich der Lebertoxizität Vorsicht geboten ist.1 NSAR haben bei einer Reihe chronischer Schmerzzustände eine anhaltende analgetische und entzündungshemmende Wirkung.2 Es sollte jedoch auf die Möglichkeit von kardiovaskulären und gastrointestinalen Nebenwirkungen geachtet werden. Bei älteren Bevölkerungsgruppen sowie bei gleichzeitigem Alkoholkonsum sollte man zusätzliche Überlegungen anstellen.2

Quellenangaben
  1. British National Formulary (BNF) National Institute for Health and Care Excellence (NICE). Analgesics. Available at: https://bnf.nice.org.uk/treatment-summary/analgesics.html. Accessed June 2020.
  2. British National Formulary (BNF) National Institute for Health and Care Excellence (NICE). Non-steroidal anti-inflammatory drugs. Available at: https://bnf.nice.org.uk/treatment-summary/non-steroidal-anti-inflammatory-drugs.html. Accessed June 2020.

 

Co-Analgetika (Adjuvantien)

Andere nichtopioide Arzneimittel können als co-analgetische/adjuvante Medikamente beschrieben werden. Das sind Therapeutika, die für einen alternativen Zweck entwickelt wurden, aber analgetische Eigenschaften aufweisen.1 Die Hauptgruppen der Co-Analgetika sind Antidepressiva und Antikonvulsiva.1 Viele Antidepressiva sind zwar wirksam in der Schmerzbehandlung, können jedoch mit einer Reihe von Nebenwirkungen assoziiert sein, zum Beispiel Gewichtszunahme, sexueller Dysfunktion, kardiovaskulären Effekten und Letalität bei Überdosierung.2 In ähnlicher Weise wurde gezeigt, dass Antikonvulsiva die Lebensqualität und Funktion bei Schmerzpatienten verbessern, jedoch zu unerwünschten Ereignissen führen können, insbesondere solchen, die mit dem Zentralnervensystem verbunden sind (z. B. Schwindel, Schläfrigkeit, Gang- oder Gleichgewichtsstörungen und Zittern).3

Quellenangaben
  1. Center for Substance Abuse Treatment. Managing chronic pain in adults with or in recovery from substance use disorders. Rockville (MD): Substance Abuse and Mental Health Services Administration (US); 2012. Available at: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK92048. Accessed June 2020.
  2. Sansone RA & Sansone LA. Psychiatry (Edgemont). 2008;5(12):16–19.
  3. Wiffen PJ et al. Cochrane Database Syst Rev. 2013;(11):CD010567.

 

Topische Analgetika

Topische Analgetika können an bestimmten Schmerzstellen direkt auf die Haut aufgetragen werden.1 Die Gruppe der topischen Analgetika umfasst sehr unterschiedliche Wirkmechanismen, daher kann sie – abgesehen von der Art der topischen Anwendung – nicht als Einheit beschrieben werden. Topische nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) hemmen Cyclooxygenaseenzyme und begrenzen die Produktion von Prostaglandinen. Weitere Informationen zu NSAR finden Sie im Abschnitt zu nichtopioiden Analgetika.1 Durchblutungsförderer verursachen Hautreizungen, von denen man annimmt, dass sie muskuloskelettale Schmerzen lindern.1 Andere Arten von topischen Analgetika können sich an Nozizeptoren in der Haut binden und nach wiederholter Anwendung zu einer „Defunktionalisierung“ führen, die Schmerzen in der Umgebung beseitigen kann.1 Topische Analgetika sind weniger invasiv als andere Behandlungen. Ihre Verabreichung kann durch Minimierung systemisch wirksamer Konzentrationen des Arzneistoffs unerwünschte systemische Ereignisse limitieren.1 Bei topischen Analgetika können jedoch lokale Nebenwirkungen wie Irritationen, Juckreiz oder Hautausschlag auftreten.1

 

 

Quellenangaben
  1. Derry S et al. Cochrane Database Syst Rev. 2017;(5):CD008609.

 

Opioide und atypische Opioide

Opioide können in klassische und atypische Opioide unterteilt werden. Klassische Opioide sind Verbindungen, die an Opioidrezeptoren binden, die für die Modulation von Schmerzen im zentralen und peripheren Nervensystem verantwortlich sind.1 Atypische Opioide sind Analgetika, die sowohl opioide als auch nichtopioide Wirkmechanismen auf möglicherweise synergistische Weise nutzen.2

Klassische Opioide und atypische Opioide können in Betracht gezogen werden, wenn der Schmerz nach nichtopioiden Ansätzen schlecht kontrollierbar bleibt und das Risiko-Nutzen-Verhältnis günstig ist.1 Sie sollten nur bei sorgfältig ausgewählten Patienten angewandt werden. Die Risikofaktoren für Missbrauch und Sucht sollten dabei vor Beginn der Behandlung überprüft werden.3 Wenn Opioide als notwendig erachtet werden, sollte man sie in der niedrigsten Dosis und kürzestmöglichen Dauer mit genau definierten Behandlungszielen und bei kontinuierlicher Evaluation einsetzen.1, 3 Es bedarf laufender Überwachung und Nachsorge, um sicherzustellen, dass die Opioide angemessen und in Übereinstimmung mit den vereinbarten Behandlungszielen (Schmerzintensität und Funktionalität) verwendet werden.4, 5 Dosisanpassungen können vorgenommen werden, um die richtige Dosis für den Einzelnen zu finden. Man sollte auch eine schrittweise, auf den individuellen Patienten zugeschnittene Reduktion bedenken.3 In Fällen, in denen ein langfristiger Opioidkonsum gerechtfertigt ist, steht eine Risikominderung in Bezug auf Missbrauch, Abhängigkeit und Überdosierung zentral.1 Weitere Informationen zum verantwortungsvollen Umgang mit Opioiden finden Sie hier, click here.

Quellenangaben
  1. Clauw DJ et al. Postgrad Med. 2019;131(3):185–98.
  2. Raffa RB et al. J Clin Pharm Ther. 2014;39(6):577–83.
  3. British National Formulary (BNF) National Institute for Health and Care Excellence (NICE). Pain, chronic. Available at: https://bnf.nice.org.uk/treatment-summary/pain-chronic.html. Accessed June 2020.
  4. Faculty of Pain Medicine. Opioids Aware. Available at: https://www.rcoa.ac.uk/faculty-of-pain-medicine/opioids-aware. Accessed June 2020.
  5. Korsten TR & George TP. Sci Pract Perspect. 2002;1:13–20.

 

Gezielte Nervenstimulation und analgetische Injektionen

Eine dieser Modalitäten ist die gezielte invasive Nervenstimulation wie beispielsweise die Stimulation des N. occipitalis. Diese inkludiert die Implantation eines Geräts und die direkte Wirkung auf den N. occipitalis.1 Weitere Optionen sind Nervenblockaden/gezielte Anästhesie- oder Steroidinjektionen.2 Derartige Managementansätze können invasiv sein und eine Anästhesie erfordern (die ihre eigenen Risiken birgt). Sie können zu schweren Langzeitkomplikationen wie Infektionen und Hauterosion führen.1,2

Quellenangaben
  1. May A & Schulte LH. Nat Rev Neurol. 2016;12:455–65.
  2. National Health Service (NHS). Spinal injections patient information leaflet. 2013. Available at: https://www.guysandstthomas.nhs.uk/resources/patient-information/surgery/orthopaedics/spinal-injections.pdf. Accessed June 2020.